Morgens um halb neun ist Rushour in den öffentlichen Verkehrsmitteln, so nennt man den Umstand, dass zur gleichen Zeit viele Menschen nach heimlicher Übereinkunft ihr Zuhause verlassen, um an ihren Arbeitsplatz zu fahren. Den Ort, an dem sie für viele Stunden sitzen und aus einer unlustigen ironischen Tasse Beutelfrüchtetee trinken, um anschließend wieder zur abendlichen Rushour nach Hause zu fahren, ein Zeitüberbrückungsbuch unter den Arm geklemmt.
Manche verlassen den Ort, an dem Tisch und Bett stehen auch antizyklisch, arbeiten nachts oder im Schichtdienst oder werden zu Notfällen gerufen. Das nennt man dann Stand-by. Das kleine Lämpchen leuchtet, das Gerät verbraucht zuviel Strom; in Wochenmagazinen gibt es Artikel über Manager-Burnout und Herzkranzgefäßverengung bei übermäßig sitzender Tätigkeit. Abends kann man sich zum Feierabendbier versammeln. Feierabend ist keine Party, Feierabend ist nach Büroschluss. Man kann schnell noch was einkaufen, seine Kinder wiedersehen, mal zum Ausgleich ein wenig Sport treiben, ein Date haben oder Serien gucken. Oder man bleibt einfach dort, wo gearbeitet wird. Sammelt Fleißpunkte, beeindruckt den Chef, fühlt sich besser und nützlicher und wie jemand, der zu tun hat, der die Welt jeden Tag ein bisschen rettet und seine Seele dazu. Andere bleiben im Büro, wobei das meist Agentur heißt, spielen ein bisschen Tischtennis, trinken Cola aus regionalem Vertrieb und drehen ein Video, das dann ins Internet gestellt wird, wo alle sehen können, dass es super ist auf Arbeit, es macht Spaß und Kreativsein kennt keinen Stundenplan. Die Kollegen möchte man am liebsten heiraten, man schenkt ihnen seltene Süßigkeiten und betont, dass die Grenzen fließend sind, dass man seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat, Feierabend gibts da nicht, ist für Anfänger und Gartenzwergliebhaber
Manche, die sieht man überhaupt nicht bei der Arbeit, das heißt dann “unter Tage” oder Hartz 4. Nicht bei der Arbeit gesehen zu werden kann sehr gefährlich sein. Daher empfiehlt es sich, zumindest immer so zu tun, als ob man arbeiten würde. In Kurzgeschichten, die im Deutschunterricht gelesen werden gibt es dann diesen Familienvater, der täglich morgens das Haus verlässt, nichts in seiner Aktentasche als einen alten Zeitungsartikel, einen Apfel und ein Butterbrot. Der geht dann ins Museum, um das Gefühl von Information und Zeitbegrenztheit zu erleben, das er hatte, wenn er früher Aktennotzien vermerkte und um 18h den Rechner ausmachte. Jetzt wartet er, bis eine freundliche Ansage die Museumsbesucher zum Gehen auffordert, nicht ohne ihnen zu versichern, dass es schön war mit ihnen und sie gerne wiederkommen dürfen. Das macht der Mann aus der Kurzgeschichte dann auch, am nächsten Tag. Er schämt sich, er fühlt sich entmannt und seiner Familie unwürdig, ein Versager. Um nicht ständig daran erinnert zu werden vertieft er sich in die Keilschrift der Etrusker und studiert Baupläne des Otto-Motors. Seine Kinder finden es super, dass er soviel weiß.
Wenn man noch sehr jung ist, dann kann man viel ausprobieren. Das soll man auch, damit man rechtzeitig herausfindet, was man denn so will, eigentlich. Denn um das Eigentliche geht es ja immer. “Mal so” geht eine Weile, aber dann muss man sich schon festlegen. Das Leben ist kein Ponyhof und kein Wunschkonzert und wer nicht früh gelernt hat, sich selbst zu definieren, ist ein Lebenskünstler. Und Künstler, die sind einem ja doch ein bisschen suspekt. Wer nichts wird, wird Wirt, sagen die Leute. Digitale Bohème, rufen die anderen und beklatschen die neue Selbstständigkeit und die Freiheit der Kreativität. Rumsitzen und Denken ist keine Arbeit, munkelt manch protestantisch erzogener Bürger. Mach dich nützlich. Ist man jung, hat man noch Schonzeit, Welpenschutz. Aber nicht ewig, da muss ja mal was vorangehen. Wo ist Vorne? Alles kann, nichts muss. Wie geht arbeiten? Ist das Putzen der eigenen Wohung Freizeitmühsal?
Blumen wollen wir nicht, sagen die Philister dem fidelspielenden Taugenichts, keine Blumen, keine Vagabunden, mach mal was Richtiges und von Blumen wird keiner satt.
Man kann auch mal einen Fehler machen, es ist wichtig, dass du das findest, was zu dir passt. Aber bitteschön rechtzeitig, sobald die kindliche Naivität aus deinem Blick verschwindet, gerätst du in Generalverdacht, wenn du noch immer keinen Plan hast. Berufsjugendlich heißt das. Zur Jugend berufen? Oder von Beruf jugendlich?
Sei kein Schmarotzer. Trag was bei. Gib von dir! Was hat Geld mit meinem Tun gemein? Man kann seinen Körper spenden, nach seinem Ableben, oder auch schon vorher, Nieren kann man spenden oder Blut, Samen oder Eizellen, auch Haut und Haare. Man kann seinen Körper verkaufen, das heißt meistens Sexarbeit, im Gegensatz zur Sexfreizeit.
Was willst du mit deinem Leben machen? Willst du es verkaufen, verschenken, beenden? Willst du sinnvolle Dinge tun, Nützlichkeiten produzieren? Viel mit Werkzeugen hantieren, dabei täglich den evolutionären Fortschritt bewundern, die Winkelhaltung des Daumens an der menschlichen Hand? Du musst dich entscheiden, festlegen, töte die Möglichkeiten und widme dich. Sei ambitioniert. Habe Ziele und Träume. Sei kein Langschläfer und Däumchendreher. Nicht genügsam. Nicht zu ehrgeizig, es wirkt verbissen, es soll ja nicht verbissen wirken sondern kraftvoll. Powerful. Du musst es nur wirklich wollen.
Im klugen Kino werden ausgesuchte Retrospektiven gezeigt, man spricht von “Werkschau”. Man kann also jemandes Werk besehen, drehen und wenden und begutachten.
Ein international bekannter Maler verkauft eine Arbeit und erhält einen sechsstelligen Betrag dafür. Er verkauft ein Produkt, eine Ware, sie heißt nicht Werk, sondern Arbeit. Vielleicht hat er ein Stückchen Arbeitskraft und Zeit und Blut darin versteckt, die Seele des Prozesses mitverkauft? Die Arbeit, die soll auf keinen Fall nützlich sein. Sie ist frei. Sie ist Kunst. Kunstarbeit. Nicht zu verwechseln mit Kunsthandwerk. Das sind nicht ernst gemeinte Dekorationsgegenstände auf Jahrmärkten oder blaulasierte Tonschalen, von Gattinnen in der Toskana gefertigt. Das hat keine Bedeutung. Es ist ein Hobby. Wie das Heimwerken und die Spielzeugeisenbahn. Das Hobby ist im Keller, das braucht keine Fans.
Heute trage ich die kurze Hose, sagt der Arbeitslose. Heute hab ich Urlaub.